Hinwil - geschichtlich betrachtet / Ein Blick zurück

Während für die vorgeschichtliche Zeit bisher noch keine bedeutenden Funde gemacht wurden, sprechen die römischen Ruinen unter der Kirche eine deutliche Sprache. Hier stand schon im 1. oder 2. Jahrhundert nach Christus eine stattliche Villa – zweifellos im Zusammenhang mit der Römerstrasse, die von Oberwinterthur übers Kastell Irgenhausen und durch unsere Gemeinde bis Kempraten führte.

Mit dem Eindringen der Alemannen im 5./6. Jahrhundert trat die Besiedlung in eine neue, entscheidende Phase. Viel Land wurde urbar gemacht, auf dem die einzelnen Sippen ihre Höfe und Siedlungen begründeten. Aus einigen dieser Höfe entwickelten sich dann diejenigen Dörfchen, die noch heute auf dem Gemeindegebiet bestehen, während andere eingingen und nur noch als Flurnamen fortleben.

Faszinierend ist es, den heutigen Ortsnamen in alten Dokumenten rückwärts nachzugehen. So gelangt man etwa von Hinwil über Hünwile (1309), Hiunwilare (1130), Hunewilare (1044) bis zur Form Hunichinwilare aus dem Jahre 745. Hunichinwilare aber meint hier noch nicht viel anderes als den Hof oder Weiler des Hunicho, dessen Name auf dem von ihm einst bebauten Land so recht dauerhaft weiterlebt. Ganz ähnlich verweisen auch Wernetshausen/Werinholveshusa oder Bossikon/Pozinhova auf Werinolt resp. Pozzo als alemannische Siedler.

Nach der Christianisierung und dem Bau der ersten Kirche scheint im 8. und 9. Jahrhundert eine eigentliche Schenkungswut unter den Neubekehrten ausgebrochen zu sein. Kaum einen Ortsteil gibt es, in dem nicht ausgedehnte Güter dem Kloster St. Gallen vergabt werden, so dass dieses bald zum mächtigsten Grundbesitzer in der Gemeinde wird. Viele dieser Güter werden später an das Kloster Rüti und den Johanniterorden in Bubikon übergeben, die bis zur Reformation durch ihre Verwalter, Leibeigenen und den Zehntenansprüchen von grösstem Einfluss in der Gemeinde bleiben.

Durch den Standort der Kirche war Hinwil mit seinen damals etwa 60 Einwohnern zum Mittelpunkt der lockeren Kirchengenossenschaft geworden, in der sich die umliegenden Weiler vereinigten. Diese, wie auch das Kirchdorf, wuchsen in der Folgezeit stetig, so dass sie grossteils schon im 13. Jahrhundert mit Übervölkerungsproblemen zu kämpfen hatten.
Ein beliebiges Wachstum war ja nicht möglich, da die Dörfer zum Schutz mit einem Hag, dem so genannten Dorfetter, umgeben waren.

Innerhalb des Etters lagen seit der Übernahme der Dreifelderwirtschaft auch die Äcker (Zelgen). Mehr als eine begrenzte Anzahl Dorfgenossen konnte diese Ackerfläche nicht ernähren, wie auch das dem Urwald abgerungene Weideland ausserhalb des Etters nur für eine begrenzte Anzahl Vieh hinreichte.

Neben den Klöstern besass im Mittelalter vor allem der Adel ausgedehntere Güter und Rechte in der Gemeinde. Von sechs Rittergeschlechtern wissen wir, die hier auf ihren wohl eher kleinen Burgen hausten. Das schönste Zeugnis aus jener Zeit ist die Burgruine Bernegg, die 1924/25 ausgegraben und 1939 restauriert wurde. Daneben aber ist ausser ein paar Namen und Daten meist kaum mehr etwas erhalten von jenen Rittern von Ringwil, Hadlikon, Bernegg, Bossikon und (vielleicht) Landenberg. Besser steht es mit den Herren von Hinwil, deren Stammbaum sich vom Jahr 970 bis zu ihrem Aussterben 1588 fast lückenlos nachweisen lässt. Ihre Burg lag auf dem aussichtsreichen Hügel nordöstlich der Kirche; leider ist von ihr kein Stein mehr erhalten. Wie so manches andere Bauwerk wird sie späteren Geschlechtern zum eigenen Bauplatz gedient haben; dem Gerücht nach vor allem beim Kirchenneubau um 1450.

In der Reformationszeit war Hinwil Zentrum der Wiedertäuferbewegung im Zürcher Oberland. Sogar der damalige Dorfpfarrer Brennwald setzte sich in seinen Predigten für die Abschaffung des Zehnten und die Aufhebung der Leibeigenschaft ein. Dennoch schloss er sich der Bewegung selber nicht an. Die Täuferhöhle ob Wappenswil am Allmann, wo sich die verfolgten Wiedertäufer versteckt hielten, wird noch heute als Sehenswürdigkeit besucht.
Lange verlief das Leben in den kleinen Wachten der Kirchgemeinde Hinwil in ruhigen, einförmigen Bahnen. Langsam und gleichmässig stieg auch die Bevölkerungszahl. Mit Landwirtschaft, immer mehr aber auch mit Spinnen und Weben, ging ein Jahr nach dem andern vorüber. Kriege gab es keine; die Strenge des Landvogts, die Grösse der Ernten und Naturereignisse waren die Faktoren, die die Lebensqualität bestimmten. Nur – so geregelt all dies scheinbar auch verlief, blieb die Zeit eben doch nicht stehen. Neues Gedankengut kam auf, neue Formen der Produktion vor allem, und was lange der gewohnte Gang gewesen war, erwies sich plötzlich als drückende Fessel.

Am drückendsten war die Lage in Frankreich, wo sich das Volk schliesslich zur blutigen Revolution erhob. Und keine zehn Jahre waren vorbei, als in ihrem Gefolge 1798 hierzulande die „Eine und unheilbare Helvetische Republik“ ausgerufen wurde. Alles wurde neu geregelt, und die Eingriffe reichten bis tief auch in unser Gemeindewesen ein. Die Kirchgemeinde wurde zur politischen Gemeinde, die Wachten wurden zu Zivilgemeinden umgetauft – und Girenbad wurde endlich vom übergrossen Wernetshausen abgetrennt.

Eine gärende Stimmung scheint in diesen unruhigen Jahren geherrscht zu haben, die sich vor allem gegen die jahrhundertelange Benachteiligung durch die Stadt richtete. Eine Missernte 1799 und die aufreibenden Zwangseinquartierungen von französischen, österreichischen und russischen Truppen drückten auch unsere Gemeinde hart.

So viele Rückschritte auch die nachfolgende Mediationsverfassung brachte, so liberal war sie doch im Vergleich zu derjenigen der Restaurationszeit. Unter dem Einfluss der Julirevolution in Paris erhob sich 1830 auch hier das Volk begeistert, und die Regierung war klug genug, auf die am so genannten Ustertag gestellten Forderungen einzutreten. Schon 1831 wurde eine neue Kantonsverfassung verlesen, die endlich mehr Demokratie, eine gerechtere Stellung der Landschaft sowie die ersehnte Handels- und Gewerbefreiheit brachte.

Der Kanton wurde in Bezirke eingeteilt, und nach etlicher Rivalität umliegender Gemeinden wurde Hinwil gar Bezirkshauptort. Die Errichtung der hiefür erforderlichen Verwaltungsräumlichkeiten übernahm eine Gesellschaft engagierter Bürger so dass das erste Bezirksgebäude schon bald bezogen werden konnte.

Das neue Gesetz von 1831 organisierte die Gemeinden in Einwohner-, Bürger-, Kirch- und Schulgemeinden, mit je eigenen Behörden. Wenig Freude hatten die an jahrhundertelange Autonomie gewöhnten Wachten, als sie 1835 zu Zivilgemeinden umfunktioniert wurden, die in allen wichtigeren Belangen dem Gemeinderat unterstellt waren. Die gleichen Widerstände fanden sich ja noch 1919 bei der Vereinigung der bis anhin selbständigen Schulgemeinden. Mit der Zeit wurden dann auch die Zivilgemeinden aufgelöst, die ohnehin nur noch mit Wald- und Strassenunterhalt, Feuerwehr sowie der Wasserversorgung beauftragt waren.

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde auch Hinwil von der starken Industrialisierungswelle im Zürcher Oberland erfasst, die für die betroffene Bevölkerung oft schwer zu ertragen war. 1850 waren etwa 500 Personen, zumeist Frauen, in der Baumwoll- und Seidenweberei beschäftigt. Später kamen Stickerei und die Fabrikation von Weberschiffchen hinzu. Trotzdem blieb Hinwil bis nach dem Zweiten Weltkrieg stark vom Gewerbe und der Landwirtschaft geprägt.

Seitdem hat sich nun aber vieles geändert: Aus dem einst verträumten Dorf Hinwil ist ein namhafter Industrieort mit neuzeitlichen Lebensgewohnheiten geworden.
Die vielfältigen Arbeitsmöglichkeiten haben Hinwil auch als Wohnort attraktiver gemacht. Als Wohngebiet besonders geschätzt sind nebst den geschützten Hanglagen im Norden und Osten des Dorfes auch die Aussenwachten Wernetshausen und Hadlikon.


Verfasser: Kurt Ruf
06. September 2000